(1) Diesem Gesetz gehen spezifische Regelungen über die Mitteilung von Informationen über Verstöße in den folgenden Vorschriften vor:
- § 6 Absatz 5 und § 53 des Geldwäschegesetzes,
- § 25a Absatz 1 Satz 6 Nummer 3 des Kreditwesengesetzes und § 13 Absatz 1 des Wertpapierinstitutsgesetzes,
- § 58 des Wertpapierhandelsgesetzes,
- § 23 Absatz 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes,
- § 28 Absatz 1 Satz 2 Nummer 9 und § 68 Absatz 4 Satz 3 des Kapitalanlagegesetzbuchs,
- §§ 3b und 5 Absatz 8 des Börsengesetzes,
- § 55b Absatz 2 Nummer 7 der Wirtschaftsprüferordnung,
- Artikel 32 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1; L 287 vom 21.10.2016, S. 320; L 348 vom 21.12.2016, S. 83), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1783 (ABl. L 359 vom 11.10.2021, S. 1) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
- Artikel 4 und 5 der Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnungen (EG) Nr. 1321/2007 und (EG) Nr. 1330/2007 der Kommission (ABl. L 122 vom 24.4.2014, S. 18), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2020/2034 (ABl. L 416 vom 11.12.2020, S. 1) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, und der aufgrund des § 32 Absatz 1 Nummer 1 des Luftverkehrsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen,
- §§ 127 und 128 des Seearbeitsgesetzes,
- § 14 Absatz 1 des Schiffssicherheitsgesetzes in Verbindung mit Abschnitt D Nummer 8 der Anlage zum Schiffssicherheitsgesetz und den aufgrund der §§ 9, 9a und 9c des Seeaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnungen für Beschwerden, die die Sicherheit eines Schiffes unter ausländischer Flagge
einschließlich der Sicherheit und Gesundheit seiner Besatzung, der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord und der Verhütung von Verschmutzung durch Schiffe unter ausländischer Flagge betreffen, und - aufgrund des § 57c Satz 1 Nummer 1 und des § 68 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 3 und mit den §§ 65, 66 und 67 Nummer 1 und 8 und den §§ 126, 128 und 129 des Bundesberggesetzes erlassenen Rechtsverordnungen.
Soweit die spezifischen Regelungen in Satz 1 keine Vorgaben machen, gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes.
(2) Das Verbraucherinformationsgesetz, das Informationsfreiheitsgesetz sowie Regelungen der Länder über den Zugang zu amtlichen Informationen finden keine Anwendung auf die Vorgänge nach diesem Gesetz. Satz 1 gilt nicht für die Regelungen des Bundes und der Länder über den Zugang zu Umweltinformationen.
(3) Die §§ 81h bis 81n des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bleiben unberührt.
(4) Die Regelungen des Strafprozessrechts werden von den Vorgaben dieses Gesetzes nicht berührt.
Gesetzesbegründung zu § 4 HinSchG
Zu Absatz 1
Die Regelung setzt Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit dem Anhang Teil II der HinSch-RL
um.
Die Vorschrift regelt das Verhältnis zu bereits bestehenden gesetzlichen Vorgaben zu sek-
torspezifischen Meldewegen. Es wird klargestellt, dass gesetzlich bereits bestehende spe-
zifische Meldewege den Vorgaben dieses Gesetzes vorgehen sollen. Hintergrund dessen
ist, dass die sektorspezifisch tätigen und etablierten Meldestellen regelmäßig über große
Expertise und tiefes Fachwissen verfügen. Daher sollen Fälle, deren Bearbeitung dieses
Fachwissen verlangt, nicht von diesen Stellen zu einer allgemeinen Meldestelle, wie sie mit
diesem Gesetz eingerichtet wird, verlagert werden.
Die einzelnen Meldesysteme, auf die verwiesen wird, sehen jeweils ein Meldesystem für
potentielle oder tatsächliche Verstöße unter Wahrung der Vertraulichkeit der Identität der
meldenden Person vor. Der Kreis der möglichen Meldenden sowie der Verstöße, deren
Meldung geschützt ist, sind jeweils auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten. Daraus folgt,
dass die spezifischen Meldesysteme dem mit diesem Gesetz eingerichteten allgemeinen
Meldesystem nur insoweit vorgehen, als die potentiell hinweisgebende Person auch nach
dem spezifischen Meldesystem geschützt ist und der konkret der Meldung zugrundelie-
gende Verstoß auch in den sachlichen Anwendungsbereich des spezifischen Systems fällt.
Ist der persönliche oder sachliche Anwendungsbereich des spezifischen Meldesystems
nicht eröffnet, kann das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem greifen.
Das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem kommt außerdem zur Anwendung, soweit die
spezifischen Regelungen, auf die in Satz 1 verwiesen wird, keine Vorgaben machen. Damit
wird festgelegt, dass die Bestimmungen des HinSchG auch die sektorspezifischen Rechts-
akte ergänzen können, sofern deren Vorgaben nur Teilbereiche des Hinweisgeber-
schutzsystems umfassen. Relevant ist dies insbesondere in den Fällen, in denen die sek-
torspezifischen Bestimmungen nur ein internes (vergleiche § 23 Absatz 6 des Versiche-
rungsaufsichtsgesetzes) oder nur ein externes Meldeverfahren (vergleiche § 53 GwG) vor-
sehen. Sofern die sektorspezifischen Regelungen beispielsweise für ein internes Meldever-
fahren Vorgaben enthalten, bleibt daneben kein Raum für die Anwendung des HinSchG
betreffend das interne Meldeverfahren, selbst wenn das HinSchG detailliertere Vorgaben
macht.
Die Richtlinie 2009/16/EG sieht in Artikel 18 und Artikel 18a Beschwerdeverfahren vor, die
alle vorgelegten Informationen oder vorgelegten Berichte einer Person oder Organisation erfassen, die ein berechtigtes Interesse hinsichtlich der Sicherheit des Schiffes einschließ-
lich der Sicherheit und Gesundheit seiner Besatzung, der Lebens- und Arbeitsbedingungen
an Bord und der Verhütung von Verschmutzung hat (vgl. Artikel 2 Nummer 14 der Richtli-
nie). Für derartige Beschwerden, die die vorgenannten Inhalte betreffen, gehen die spezifi-
schen Regelungen der Richtlinie und der nationalen Umsetzung im Schiffssicherheitsge-
setz und in aufgrund der §§ 9, 9a und 9c des Seeaufgabengesetzes erlassenen Rechtsver-
ordnungen den Vorgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes vor.
Bereits etablierte oder neu entstehende sektorspezifische Meldeverpflichtungen, -wege und
-verfahren, mit denen Verstöße an bestimmte Stellen gemeldet werden können bezie-
hungsweise müssen, die aber im Gegensatz zu den in Absatz 1 genannten Regelungen
keine spezifischen Regelungen zum Hinweisgeberschutz vorsehen, bestehen weiterhin ne-
ben den Meldewegen des HinSchG. Das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem des Hin-
SchG kommt dann neben diesen in Absatz 1 nicht genannten sektorspezifischen Meldever-
pflichtungen, -wegen und -verfahren zur Anwendung. Dies betrifft beispielsweise Arti-
kel 140 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleis-
tung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tier-
gesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel, zur Änderung
der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 1069/2009, (EG)
Nr. 1107/2009, (EU) Nr. 1151/2012, (EU) Nr. 652/2014, (EU) 2016/429 und (EU)
2016/2031 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnungen (EG)
Nr. 1/2005 und (EG) Nr. 1099/2009 des Rates sowie der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG,
2007/43/EG, 2008/119/EG und 2008/120/EG des Rates und zur Aufhebung der Verordnun-
gen (EG) Nr. 854/2004 und (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes, der Richtlinien 89/608/EWG, 89/662/EWG, 90/425/EWG, 91/496/EEG, 96/23/EG,
96/93/EG und 97/78/EG des Rates und des Beschlusses 92/438/EWG des Rates (Verord-
nung über amtliche Kontrollen) (ABl. L 95 vom 7.4.2017, S. 1); sofern der Anwendungsbe-
reich des HinSchG eröffnet ist, kann eine Person, die einen Verstoß gegen die Verordnung
(EU) 2017/625 melden möchte, folglich zwischen einer Meldung nach Artikel 140 der Ver-
ordnung (EU) 2017/625 und einer Meldung nach den Vorschriften des HinSchG wählen; in
letzterem Fall finden die Bestimmungen des HinSchG Anwendung.
Zu Absatz 2
Das Bedürfnis der hinweisgebenden Person und von Personen, die Gegenstand einer Mel-
dung sind, nach Schutz vor der Preisgabe ihrer Daten ist höher zu werten als der Anspruch
auf Zugang zu öffentlichen Informationen, den jedermann nach dem Informationsfreiheits-
gesetz (IFG) und dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) hat. Daher wird die Anwen-
dung des IFG und des VIG ausgeschlossen. Die Vorschrift entspricht den Regelungen für
bereits geltende sektorspezifische Hinweisgeberschutzsysteme, die die Vertraulichkeit der
Identität der hinweisgebenden Person schützen. Die Anwendung der Regelungen der Län-
der über den Zugang zu amtlichen Informationen wird entsprechend dem Umgang mit den
Regelungen auf Bundesebene ebenfalls ausgeschlossen.
Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für Regelungen des Bundes und der Länder über den
Zugang zu Umweltinformationen. Dies ist notwendig, da das Umweltinformationsrecht des
Bundes und der Länder eine 1:1-Umsetzung von europa- und völkerrechtlichen Vorgaben
darstellt, bei denen es keine Befugnis eines EU-Mitgliedstaats zum vollständigen Aus-
schluss der Anwendung gibt, ohne gegen dieses höherrangige Recht zu verstoßen. Den-
noch gewährleistet auch die Anwendung der Regelungen des Bundes und der Länder über
den Zugang zu Umweltinformationen im Einzelfall einen gleichwertigen Schutz von hinweis-
gebenden Personen und von Personen, die Gegenstand einer Meldung sind. Grundsätzlich
gilt, dass soweit im Einzelfall nach Abwägung Ablehnungsgründe zum Schutz öffentlicher
oder privater Belange einer Herausgabe entgegenstehen, sich dies nach den §§ 8 und 9
Umweltinformationsgesetz des Bundes (UIG) sowie den entsprechenden Rechtsvorschrif-
ten der Länder richtet. Danach gilt beispielsweise: Dem Ablehnungsgrund des Schutzes der personenbezogenen Daten unterfallen unter anderem die Identität der hinweisgeben-
den Person sowie von Personen, die Gegenstand der Meldung sind. Soweit es um interne
Mitteilungen privater oder staatlicher informationspflichtiger Stellen geht, wird in aller Regel
der Ablehnungsgrund der internen Mitteilungen einschlägig sein. Nach der aktuellen Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts (verglei-
che Urteil vom 20.01.2021, Rs. C‑619/19, BVerwG 10 C 2.21) umfasst der Begriff der „in-
ternen Mitteilungen“ alle Informationen, die innerhalb einer informationspflichtigen Stelle im
Umlauf sind, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden sind und die den Bin-
nenbereich der informationspflichtigen Stelle nicht verlassen haben. Grund hierfür ist das
geschützte Bedürfnis nach einem geschützten Raum für interne Überlegungen und Debat-
ten. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts
kann zudem auch eine bei einer Behörde vorhandene Umweltinformation, die von einer
externen Quelle bei ihr eingegangen ist, in diesem Sinne „intern“ sein, wenn sie der Öffent-
lichkeit vor ihrem Eingang bei der Behörde nicht zugänglich gemacht worden ist oder hätte
zugänglich gemacht werden müssen und wenn sie den Binnenbereich dieser Behörde,
nachdem sie bei ihr eingegangen ist, nicht verlässt (EuGH, a.a.O. Rn 43, BVerwG, a.a.O.,
Rn. 19). Zudem haben der EuGH und das BVerwG festgestellt, dass eine starre zeitliche
Begrenzung der möglichen Ablehnung nicht besteht, maßgeblich bleibt die Würdigung des
jeweiligen Einzelfalls.
Zu Absatz 3
Das BKartA wird im Rahmen seiner Zuständigkeit zu einer externen Meldestelle nach § 22.
Die Vorschrift stellt klar, dass hiervon die Vorgaben für die Behandlung von Kronzeugen in
den §§ 81h ff. GWB, nach denen die Kartellbehörde bei Erfüllung der Voraussetzungen für
die Kronzeugenbehandlung auf Antrag von der Verhängung einer Geldbuße gegenüber ei-
nem Kartellbeteiligten absehen oder diese ermäßigen kann, unberührt bleiben.
Zu Absatz 4
Die Regelung in Absatz 4 hat klarstellenden Charakter. Sie setzt die Vorgaben aus Artikel 3
Absatz 3 Buchstabe d der HinSch-RL um, der festlegt, dass durch die HinSch-RL nicht die
Anwendung von nationalem Recht in Bezug auf das Strafverfahren berührt wird. Dies ist
von Bedeutung, um den Schutz der Integrität von Ermittlungen und Verfahren sowie die
Verteidigungsrechte der Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, sicherzustellen.
Dies bedeutet insbesondere, dass die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden
Person im Rahmen eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens nur nach den Vorgaben der
Strafprozessordnung (StPO) zugesichert werden kann. Denn als Zeugen sind Hinweisge-
berinnen und Hinweisgeber wesentliche Beweismittel, deren Angaben zur Ermittlung der
Wahrheit in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Die Möglichkeit zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen ist insbesondere für die
Verteidigung und aus Gründen der prozessualen Fairness unabdingbar. Auf die Weiter- und
Bekanntgabe der Identität kann daher nur ausnahmsweise und unter besonderen Umstän-
den in den gesetzlich normierten Fällen verzichtet werden.