§ 36 Verbot von Repressalien; Beweislastumkehr

(1) Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten. Das gilt auch für die Androhung und den Versuch, Repressalien auszuüben.

(2) Erleidet eine hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit und macht sie geltend, diese Benachteiligung infolge einer Meldung oder Offenlegung nach diesem Gesetz erlitten zu haben, so wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie für diese Meldung oder Offenlegung ist. In diesem Fall hat die Person, die die hinweisgebende Person benachteiligt hat, zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.

Gesetzesbegründung zu § 36 HinSchG

Zu Absatz 1
Absatz 1 bestimmt, dass Repressalien gegen hinweisgebende Personen sowie die Androhung von Repressalien und auch der Versuch einer Repressalie verboten sind. Damit wird Artikel 19 der HinSch-RL umgesetzt. Absatz 1 schützt hinweisgebende Personen vor Benachteiligungen, die Folge einer Meldung oder Offenlegung sind (Re-
pressalien). Solche ungerechtfertigten benachteiligenden Handlungen oder Unterlassungen können beispielsweise die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die vorzeitige Beendigung eines Werk- oder freien Dienstvertrags, die Verweigerung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, eine Abmahnung im Arbeitsverhältnis, Disziplinarmaßnahmen, eine Schädigung (einschließlich Rufschädigung) oder das Herbeiführen finanzieller Verluste sein.
Die HinSch-RL sieht in Artikel 19 in einer nicht abschließenden Aufzählung die Untersagung folgender Repressalien vor: Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen; Herabstufung oder Versagung einer Beförderung; Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeit; Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen; negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses; Disziplinarmaßnahme, Rüge oder sonstige Sanktion einschließlich finanzieller Sanktionen; Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung; Diskriminierung, benachteiligende oder ungleiche Behandlung; Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu Recht erwarten durfte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten zu bekommen; Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags; Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmeverluste); Erfassung der hinweisgebenden Person auf einer „schwarzen Liste“ auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass die hinweisgebende Person sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet; vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen; Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung; psychiatrische oder ärztliche Überweisungen. Eine Repressalie kann gegebenenfalls auch im missbräuchlichen Anstrengen von Gerichtsverfahren liegen. (Die deutsche Richtlinienfassung spricht von „mutwilligen Gerichtsverfahren“, die englische Fassung von „vexatious proceedings“.) Dies kommt namentlich für solche Klagen in Betracht, die nicht der Geltendmachung eigener Rechte, sondern allein dem Ziel dienen, hinweisgebende Personen abzustrafen oder zukünftige Meldungen oder Offenlegungen der hinweisgebenden Person oder anderer in einer Weise zu verhindern, bei der sich der Kläger schon nach geltendem Recht schadensersatzpflichtig machen (§ 826 BGB) oder sogar einer Strafverfolgung nach § 240 StGB aussetzen würde.
Rechtsgeschäfte, die gegen das Repressalienverbot verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig. Repressalien sind unabhängig davon verboten, ob diese von einer Arbeitgeberin oder einem Arbeitgeber, einer Dienstberechtigten oder einem Dienstberechtigten, einer Auftraggeberin oder einem Auftraggeber oder einer sonstigen Organisation, mit der die hinweisgebende Person in beruflichem Kontakt steht, vorgenommen werden, oder von solchen Personen, die für diese arbeiten oder in ihrem Namen handeln. Eine Repressalie liegt nicht vor, wenn der Nachteil, der der hinweisgebenden Person entsteht oder entstehen kann, nicht ungerechtfertigt ist.

Zu Absatz 2
Absatz 2 setzt Artikel 21 Absatz 5 der HinSch-RL um. Die Vorschrift regelt die Grundsätze der Beweislast im Fall einer Benachteiligung. Grundgedanke des deutschen Zivilprozessrechts ist, dass die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die anspruchsbegründenden Tatsachen im Prozess vortragen und auch beweisen muss. Die Beweislast kann hiervon abweichend gesetzlich auch danach bestimmt werden, ob bestimmte Ereignisse in die Sphäre von einer Partei fallen. Artikel 21 Absatz 5 der HinSch-RL sieht eine Beweislastumkehr in Verfahren vor Gerichten oder Behörden vor, die sich auf eine von der hinweisgebenden Person erlittene Benachteiligung beziehen und in denen die hinweisgebende Person geltend macht, diese Benachteiligung infolge ihrer Meldung oder Offenlegung erlitten zu haben. In solchen Fällen wird vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung oder Offenlegung war, und es obliegt der Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, bei Benachteiligungen im Beschäftigungsverhältnis also in der Regel dem Beschäftigungsgeber, zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte. Nach der Regelung muss eine Person zunächst darlegen und beweisen, dass sie nach der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes nach diesem Gesetz eine Benachteiligung erlitten hat. Die Umkehr der Beweislast gilt so dann für beide Tatbestandsmerkmale der Repressalie nach § 3 Absatz 6: Hierzu gehört zum einen die kausale Verknüpfung mit der Meldung oder Offenlegung und zum anderen die ungerechtfertigte Benachteiligung.
Damit hinweisgebende Personen nicht von vornherein von einer Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes durch die schwierige Beweisführung in einem Prozess abgeschreckt werden, erleichtert es ihnen diese Regelung, ihre Rechte geltend zu machen. Erleidet jemand eine Benachteiligung, ist es oft nicht möglich, den kausalen Zusammenhang zwischen Meldung oder Offenlegung und Benachteiligung nachzuweisen. Auf der anderen Seite stehen derjenigen Person, die eine benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, alle Unterlagen und Informationen zur Verfügung, die als Grundlage für die Maßnahme dienten. Daher ist es sach- und interessengerecht, dieser Person die Beweislast aufzuerlegen, dass die benachteiligende Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten anderen Gründen basierte. Die Vermutung kann also nicht widerlegt werden, wenn die Meldung oder Offenlegung den tragenden Beweggrund für das Ergreifen der benachteiligenden Maßnahme darstellt. Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte. Ein hinreichend gerechtfertigter Grund kann beispielsweise vorliegen, wenn die benachteiligende Maßnahme in erster Linie aus anderen, objektiv nachvollziehbaren Gründen als der durch das Gesetz erlaubten Meldung oder der durch das Gesetz erlaubten Offenlegung erfolgt, also zum Beispiel aus betriebsbedingten Gründen oder wenn ein vertraglich oder strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der hinweisgebenden Person tragender Beweggrund für die benachteiligende Maßnahme war. So könnte die Vermutung beispielsweise auch widerlegt werden, wenn die benachteiligende Maßnahme erfolgte, weil die hinweisgebende Person selbst an einem gemeldeten Verstoß, etwa an einem Korruptionssachverhalt, beteiligt war. Liegen zwar keine hinreichend gerechtfertigten Gründe vor, kann die Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, aber darlegen und beweisen, dass die Meldung beziehungsweise die Offenlegung nicht kausal für das Ergreifen der Maßnahme war, handelt es sich ebenfalls nicht um eine Repressalie.
Im Rahmen der Beweiswürdigung kann das Gericht auch Umstände wie eine Geringfügigkeit der gemeldeten Verstöße, den erfolgreichen Abschluss des Verfahrens (etwa durch Abhilfe der gemeldeten Missstände) oder die Tatsache, dass die Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, keine Kenntnis von der Meldung hatte, berücksichtigen. Bei der Frage der Kausalität dürfte auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes und der Benachteiligung zu berücksichtigen sein. Absatz 2 soll in Bußgeldverfahren mit Rücksicht auf die dort geltende Unschuldsvermutung keine Anwendung finden.