§ 9 Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgebot

(1) Die Identität einer hinweisgebenden Person, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße meldet, wird nicht nach diesem Gesetz geschützt.

(2) Informationen über die Identität einer hinweisgebenden Person oder über sonstige Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität dieser Person erlauben, dürfen abweichend von § 8 Absatz 1 an die zuständige Stelle weitergegeben werden

  1. in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden,
  2. aufgrund einer Anordnung in einem einer Meldung nachfolgenden Verwaltungsverfahren, einschließlich verwaltungsbehördlicher Bußgeldverfahren,
  3. aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, Seite 6 von 19Bundesgesetzblatt Jahrgang 2023 Teil I Nr. 140, ausgegeben zu Bonn am 2. Juni 2023
  4. von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als externe Meldestelle nach § 21 an die zuständigen Fachabteilungen innerhalb der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie bei in § 109a des Wertpapierhandelsgesetzes genannten Vorgängen an die in § 109a des Wertpapierhandelsgesetzes genannten Stellen oder
  5. von dem Bundeskartellamt als externe Meldestelle nach § 22 an die zuständigen Fachabteilungen innerhalb des Bundeskartellamtes sowie in den Fällen des § 49 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 und § 50d des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen an die jeweils zuständige Wettbewerbsbehörde.

Die Meldestelle hat die hinweisgebende Person vorab über die Weitergabe zu informieren. Hiervon ist abzusehen, wenn die Strafverfolgungsbehörde, die zuständige Behörde oder das Gericht der Meldestelle mitgeteilt hat, dass durch die Information die entsprechenden Ermittlungen, Untersuchungen oder Gerichtsverfahren gefährdet würden. Der hinweisgebenden Person sind mit der Information zugleich die Gründe für die Weitergabe schriftlich oder elektronisch darzulegen.

(3) Über die Fälle des Absatzes 2 hinaus dürfen Informationen über die Identität der hinweisgebenden Person oder über sonstige Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität dieser Person erlauben, weitergegeben werden, wenn

  1. die Weitergabe für Folgemaßnahmen erforderlich ist und
  2. die hinweisgebende Person zuvor in die Weitergabe eingewilligt hat.

Die Einwilligung nach Satz 1 Nummer 2 muss für jede einzelne Weitergabe von Informationen über die Identität gesondert und in Textform vorliegen. Die Regelung des § 26 Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes bleibt unberührt.

(4) Informationen über die Identität von Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, und von sonstigen in der Meldung genannten Personen dürfen abweichend von § 8 Absatz 1 an die jeweils zuständige Stelle weitergegeben werden

  1. bei Vorliegen einer diesbezüglichen Einwilligung,
  2. von internen Meldestellen, sofern dies im Rahmen interner Untersuchungen bei dem jeweiligen Beschäftigungsgeber oder in der jeweiligen Organisationseinheit erforderlich ist,
  3. sofern dies für das Ergreifen von Folgemaßnahmen erforderlich ist,
  4. in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörde,
  5. aufgrund einer Anordnung in einem einer Meldung nachfolgenden Verwaltungsverfahren, einschließlich verwaltungsbehördlicher Bußgeldverfahren,
  6. aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung,
  7. von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als externe Meldestelle nach § 21 an die zuständigen Fachabteilungen innerhalb der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie bei in § 109a des Wertpapierhandelsgesetzes genannten Vorgängen an die in § 109a des Wertpapierhandelsgesetzes genannten Stellen oder
  8. von dem Bundeskartellamt als externe Meldestelle nach § 22 an die zuständigen Fachabteilungen innerhalb des Bundeskartellamtes sowie in den Fällen des § 49 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 und § 50d des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen an die jeweils zuständige Wettbewerbsbehörde.

Gesetzesbegründung zu § 9 HinSchG

Zu Absatz 1
Die Identität von Personen, die vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Informationen melden, wird nicht nach Maßgabe dieses Gesetzes vor einer Weitergabe geschützt. Im Fall einer solchen Falschmeldung besteht für Personen, die Gegenstand dieser Meldung sind, ein berechtigtes Interesse daran, Kenntnis über die Identität der meldenden Person zu erlangen, um gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend machen zu können.
Die Vorschrift korrespondiert mit § 33 Absatz 1 Nummer 2, der verlangt, dass die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung einen hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprachen. Ist dies nicht der Fall, ist die hinweisgebende Person von den Schutzvorschriften dieses Gesetzes vollumfänglich ausgenommen. Damit wird gewährleistet, dass wissentlich oder grob fahrlässig falsche Informationen meldende Personen keinen Schutz ihrer Identität erhalten, und falschen Verdächtigungen vorgebeugt.
Umgekehrt gilt der Schutz der Vertraulichkeit der Identität auch dann, wenn hinweisgebende Personen fahrlässig eine Meldung von falschen Informationen über Verstöße erstatten, denn regelmäßig ist es für die Personen, die meinen, Verstöße beobachtet zu haben, nicht zumutbar, dem Verdacht selbst weiter nachzugehen und beispielweise weitere Belege und Beweise zu sammeln, bevor sie eine Meldung vornehmen.

Zu Absatz 2
Die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 16 Absatz 2 der HinSch-RL, wonach die Identität der hinweisgebenden Person sowie alle anderen Informationen, aus denen deren Identität direkt oder indirekt abgeleitet werden kann, nur offengelegt werden dürfen, wenn dies nach Unionsrecht oder nationalem Recht eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen der Untersuchungen durch nationale Behörden oder von Gerichtsverfahren darstellt, so auch im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person.
Die HinSch-RL verlangt demnach eine Abwägungsentscheidung im Hinblick auf die Weitergabe der Identität der hinweisgebenden Person, deren Notwendigkeit im nationalen Recht aus dem für alles staatliche Handeln zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt. Abzuwägen ist insbesondere zwischen dem berechtigten Interesse der meldenden Person an der vertraulichen Behandlung ihrer Identität auf der einen und dem Interesse der Strafverfolgungs- und Verwaltungsbehörden an der Aufklärung eines Sachverhaltes und der Verfolgung von Straftaten auf der anderen Seite.
Es ist davon auszugehen, dass das Interesse der hinweisgebenden Person an der Vertraulichkeit ihrer Identität ein großes Gewicht hat und daher nur in begründeten Fällen ohne die Zustimmung dieser Person hinter den Interessen an einer Weitergabe zurücktreten kann. Denn Sinn und Zweck der Meldestellen für hinweisgebende Personen ist es gerade, dass diese im Vertrauen auf den Schutz ihrer Identität eine Meldung machen können und gerade durch die vertrauliche Behandlung vor Repressalien geschützt werden. Zu beachten ist hierbei aber § 4 Absatz 4, nach dem die Anwendung des Strafprozessrechts nicht berührt wird. Damit muss die Weitergabe der Identität im Rahmen von Ermittlungs-, Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren generell möglich, aber auch erforderlich sein. Zuständig für diese Abwägungsentscheidung ist damit allein die jeweils die Herausgabe der Identität anordnende Stelle entsprechend der für sie geltenden gesetzlichen Vorgaben, also etwa im Falle strafrechtlicher Ermittlungen die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Gerichtliche Entscheidungen im Sinne der Nummer 4 umfassen auch gerichtliche Verfügungen und sind im materiellen Sinne zu verstehen.
§ 9 Absatz 2 regelt grundsätzlich nur die Befugnis der Meldestellen – abweichend von dem Verbot des § 8 – Daten zur Identität der hinweisgebenden Person weiterzugeben. Die Verpflichtung zur Herausgabe dieser Daten ergibt sich sodann aus den allgemeinen Gesetzen, etwa der StPO. Der Meldestelle wird über diese Vorschrift kein Entscheidungsspielraum eröffnet.
Anders als in den Fällen des Absatzes 3 hat sie vor der Weitergabe der Daten auch nicht die Einwilligung der hinweisgebenden Person einzuholen.
Im Sinne der Transparenz ordnet Satz 2 im Einklang mit Artikel 16 Absatz 3 der HinSch-RL an, dass die hinweisgebende Person im Regelfall über die Weitergabe ihrer Identität vorab zu informieren ist. Durch diese Information kann sie sich auf eine mögliche Kontaktierung einstellen und gegebenenfalls Unterstützung und Beratung suchen.
Gemäß Satz 3 ist von einer Information abzusehen, wenn die anordnende Stelle mitteilt, dass durch eine Unterrichtung die Ermittlungen, Untersuchungen oder Gerichtsverfahren gefährdet würden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn droht, dass die hinweisgebende Person Beweise vernichten oder in anderer Weise die Ermittlungen behindern könnte.

Zu Absatz 3
Die Vorschrift setzt Artikel 16 Absatz 1 der HinSch-RL um, der die ausdrückliche Zustimmung der hinweisgebenden Person verlangt, bevor deren Identität – außer in den von Absatz 1 und 2 erfassten Fällen – weitergegeben wird.
In Satz 3 wird ein deklaratorischer Hinweis auf die geltende Vorschrift für die Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis aufgenommen.

Zu Absatz 4
Für den Schutz der Identität von Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, gilt im Grundsatz gemäß § 8 das gleiche Schutzniveau wie für die Identität der hinweisgebenden Personen. Es sind allerdings Einschränkungen vorzusehen für solche Fälle, in denen der Verstoß nicht anders abgestellt werden kann. Nummer 1 regelt dies für interne Meldeverfahren und gibt internen Meldestellen die Befugnis, im Rahmen der Erforderlichkeit die Identität für interne Untersuchungen intern weiterzugeben. Gemäß Nummer 2 kann die Weitergabe erfolgen, wenn diese für das Ergreifen von Folgemaßnahmen erforderlich ist. Anders als bei der hinweisgebenden Person nach Absatz 3 muss hierfür keine Zustimmung der betroffenen Person eingeholt werden.
Darüber hinaus erfolgt eine Weitergabe an zuständige Behörden oder im Rahmen von Gerichtsverfahren nach den gleichen Maßstäben wie die Weitergabe der Identität der hinweisgebenden Person nach Absatz 2 Satz 1.
Zu beachten ist, dass es sich bei dem Herausgabeverlangen der Strafverfolgungsbehörde nach Absatz 4 Nummer 3 um eine zusätzliche, nach dem Strafprozessrecht vorgesehene Möglichkeit handelt. Die aktive Einbindung der Strafverfolgungsbehörde durch eine Meldestelle ist darüber hinaus – unabhängig von einer Einwilligung der Person, die Gegenstand einer Meldung ist – nach Nummer 2 möglich.