§ 3 Begriffsbestimmungen

(1) Für dieses Gesetz gelten die Begriffsbestimmungen der folgenden Absätze.

(2) Verstöße sind Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit, die rechtswidrig sind und Vorschriften oder Rechtsgebiete betreffen, die in den sachlichen Anwendungsbereich nach § 2 fallen. Hierzu können auch missbräuchliche Handlungen oder Unterlassungen gehören, die dem Ziel oder dem Zweck der Regelungen in den Vorschriften oder Rechtsgebieten zuwiderlaufen, die in den sachlichen Anwendungsbereich nach § 2 fallen.

(3) Informationen über Verstöße sind begründete Verdachtsmomente oder Wissen über tatsächliche oder mögliche Verstöße, die bei dem Beschäftigungsgeber, bei dem die hinweisgebende Person tätig ist oder war, oder bei einer anderen Stelle, mit der die hinweisgebende Person aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand, bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich erfolgen werden, sowie über Versuche der Verschleierung solcher Verstöße.

(4) Meldungen sind Mitteilungen von Informationen über Verstöße an interne Meldestellen (§ 12) oder externe Meldestellen (§§ 19 bis 24).

(5) Offenlegung bezeichnet das Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit.

(6) Repressalien sind Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder eine Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann.

(7) Folgemaßnahmen sind die von einer internen Meldestelle nach § 18 oder von einer externen Meldestelle nach § 29 ergriffenen Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit einer Meldung, zum weiteren Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß oder zum Abschluss des Verfahrens.

(8) Beschäftigte sind

  1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
  2. die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
  3. Beamtinnen und Beamte,
  4. Richterinnen und Richter mit Ausnahme der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter,
  5. Soldatinnen und Soldaten,
  6. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten,
  7. Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch beschäftigt sind.

(9) Beschäftigungsgeber sind, sofern mindestens eine Person bei ihnen beschäftigt ist,

  1. natürliche Personen sowie juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts,
  2. rechtsfähige Personengesellschaften und
  3. sonstige, nicht in den Nummern 1 und 2 genannte rechtsfähige Personenvereinigungen.

(10) Private Beschäftigungsgeber sind Beschäftigungsgeber mit Ausnahme juristischer Personen des öffentlichen Rechts und solcher Beschäftigungsgeber, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen.

Gesetzesbegründung zu § 3 HinSchG

Zu Absatz 1
In der Vorschrift werden die wesentlichen Begriffe des Gesetzes definiert.

Zu Absatz 2
Dieser Absatz setzt Artikel 5 Nummer 1 der HinSch-RL um.

Zu Absatz 2 Nr. 1
Verstöße sind zunächst Handlungen und Unterlassungen im Rahmen einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit, die rechtswidrig sind. Die Eingrenzung stellt klar, dass nur die Meldung oder Offenlegung solcher Verstöße nach diesem Gesetz geschützt ist, die im Zusammenhang mit einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit stehen. Nicht geschützt wird dahingehen die Meldung oder Offenlegung eines rein privaten Fehlverhaltens.
Dieser Begriff ist enger als in der Rechtfertigung von § 5 Nummer 2 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), wo auch die Aufdeckung sonstigen Fehlverhaltens die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen rechtfertigt. Die Meldung solchen vor allem „unethischen“ Verhaltens soll hier nicht genügen.

Zu Absatz 2 Nr. 2
Ein Verstoß im Sinne dieses Gesetzes liegt auch dann vor, wenn das Verhalten oder Unterlassen missbräuchlich ist und dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften im sachlichen Anwendungsbereich zuwiderläuft. Mit dieser Vorschrift sollen Praktiken erfasst werden, die der Gesetzgeber bei der Regelung der betreffenden Fachmaterie nicht im Blick hatte, die er aber miteinbezogen hätte, wenn er eine Vorstellung von den möglichen Umgehungsversuchen gehabt hätte.
Mit dieser Regelung werden daher auch missbräuchliche Praktiken im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vom Anwendungsbereich umfasst, das heißt solche, die zwar in formaler Hinsicht nicht als rechtswidrig erscheinen, die jedoch mit dem Ziel oder Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften unvereinbar sind. Der vom EuGH entwickelte allgemeine Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken, wie er z. B. im Bereich der Mehrwertsteuer durch die aus dem Halifax-Urteil des EuGH hervorgegangene Rechtsprechung angewandt wird, hat seine Grundlage in der ständigen Rechtsprechung des EuGH, wonach zum einen eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist und zum anderen die Anwendung des Unionsrechts nicht so weit gehen kann, dass die missbräuchlichen Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden, d. h. diejenigen Umsätze, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen (EuGH, Rs. C-255/02, Halifax, Rn. 68, 69 m.w.N.). Die Versagung eines Rechts oder Vorteils wegen missbräuchlicher oder betrügerischer Tätigkeiten ist daher nach der Rechtsprechung des EuGH auch nur die bloße Folge der Feststellung, dass im Fall von Betrug oder Rechtsmissbrauch die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des ersuchten Vorteils in Wirklichkeit nicht erfüllt sind und daher für die Versagung keine spezielle Rechtsgrundlage erforderlich ist (EuGH, Rs. C-251/16, Cussens u.a., Rn. 32). Solch missbräuchliches Verhalten oder Unterlassen ist deshalb nach Erwägungsgrund 42 der HinSch-RL zu erfassen, um eine ernsthafte Schädigung des öffentlichen Interesses wirksam aufdecken und verhindern zu können.

Zu Absatz 3
Die Definition von Informationen über Verstöße setzt Artikel 5 Nummer 2 der HinSch-RL um. Die Formulierung ist weit zu verstehen und umfasst neben Verstößen auch begründete Verdachtsmomente und neben tatsächlichen auch potentielle Verstöße, so dass unter die Begrifflichkeit „Information über Verstöße“ auch begründete Verdachtsmomente über einen potentiellen, im Ergebnis sich aber nicht bestätigenden Verstoß fallen. Um Verstöße wirksam zu unterbinden, ist der Schutz auch für solche Personen gerechtfertigt, die zwar keine eindeutigen Beweise beibringen, aber begründete Bedenken oder einen begründeten Verdacht äußern.

Zu Absatz 4
Zentrale Voraussetzung für den Schutz hinweisgebender Personen nach diesem Gesetz ist neben dem in der Praxis seltenen Fall einer Offenlegung das Erstatten einer Meldung an eine interne oder externe Meldestelle. Hierfür müssen jeweils die im entsprechenden Abschnitt genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Da das HinSchG an zahlreichen Stellen Voraussetzungen und Folgen von Mitteilungen an interne und externe Meldestellen parallel oder gemeinsam regelt, dient die Definition der Meldung dem einfacheren Verständnis des Gesetzestextes. Der Absatz setzt Artikel 5 Nummer 3 der HinSch-RL um.

Zu Absatz 5
Dieser Absatz setzt Artikel 5 Nummer 6 der HinSch-RL um. Unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist, Informationen über Verstöße öffentlich zugänglich zu machen, regelt § 32 HinSchG.

Zu Absatz 6
Die Vorschrift setzt Artikel 5 Nummer 11 der HinSch-RL um. Unter den Begriff der Repressalie werden alle Handlungen und Unterlassungen in einem beruflichen Zusammenhang gefasst, die eine Reaktion auf eine Meldung oder Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ungerechtfertigte Nachteile entstehen oder entstehen können. Die Definition des Begriffs der Repressalie ist weit gefasst, indem sie
jede benachteiligende Handlung oder Unterlassung im beruflichen Kontext einschließt. Allerdings sollen umgekehrt Beschäftigungsgeber nicht daran gehindert werden, beschäftigungsbezogene Entscheidungen zu treffen, die nicht auf die Meldung oder Offenlegung zurückzuführen sind.
Tatbestandsmerkmal einer Repressalie ist die Kausalität zwischen der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes und der Benachteiligung.

Zu Absatz 7
Unter den Begriff der Folgemaßnahmen werden alle Tätigkeiten interner und externer Meldestellen zusammengefasst, die infolge einer eingegangenen Meldung ergriffen werden können. Ausgangspunkt ist die Aufzählung denkbarer Folgemaßnahmen in Artikel 5 Nummer 12 der HinSch-RL. Anders als dort fallen unter den Begriff der Folgemaßnahmen im Sinne dieses Absatzes aber nur diejenigen Maßnahmen, die die jeweilige Meldestelle selbst ergreifen kann. Insbesondere Strafverfolgungsmaßnahmen, die der Staatsanwaltschaft vorbehalten sind, sind nicht vom Begriff der Folgemaßnahmen umfasst. Die einzelnen Folgemaßnahmen ergeben sich aus § 18 für die internen Meldestellen und aus § 29 für die externen Meldestellen.

Zu Absatz 8
Absatz 8 definiert den Begriff der Beschäftigten. Damit wird der Kreis der Personen festgelegt, die gemäß § 16 Absatz 1 über interne Meldestellen eine Meldung vornehmen können. Des Weiteren werden Beschäftigte bei den Schwellenwerten nach § 12 berücksichtigt. Beschäftigte im Sinne dieser Vorschrift sind neben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch diejenigen, die zu ihrer Berufsbildung beschäftigt sind, Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten sowie Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten. In Heimarbeit Beschäftigte sind Heimarbeiter im Sinne des Heimarbeitsgesetzes. Die Nummer 7 erfasst Menschen mit Behinderungen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch beschäftigt sind und von den Nummern 1 und 6 nicht erfasst werden.

Zu Absatz 9
Damit ein weitgehendes und einheitliches Schutzniveau erreicht wird und Hinweisen weitgehend intern nachgegangen werden kann, wird der Kreis der Beschäftigungsgeber weit gefasst. Neben natürlichen Personen und juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts werden rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige rechtsfähige Personenvereinigungen erfasst.
Juristische Personen des privaten Rechts sind beispielsweise der eingetragene Verein, die eingetragene Genossenschaft, die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Stiftungen des Privatrechts. Zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zählen Gebietskörperschaften, Personalkörperschaften sowie Verbandskörperschaften auf Bundes- und Landesebene. Bei Jobcentern in Form der gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch sind Beschäftigungsgeber die jeweiligen Träger. Umfasst werden beispielsweise Anstalten, wie zum Beispiel die Landesrundfunkanstalten, sowie öffentlich-rechtliche Stiftungen, die evangelische und katholische Kirche mit ihren Kirchengemeinden und sonstige gemäß Artikel 140 GG, Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder nach entsprechenden Bestimmungen des Landesrechts anerkannte oder als Vereine des BGB konstituierte Kirchen und sonstige Religionsgemeinschaften.

Zu Absatz 10
Die Vorschrift regelt, wer privater Beschäftigungsgeber ist und damit nach § 14 Absatz 2 unter den dort genannten Voraussetzungen interne Meldestellen gemeinsam betreiben sowie unter die Übergangsregelung des § 42 fallen kann. Die Regelung setzt zudem Artikel 8 Absatz 9 Unterabsatz 1 der HinSch-RL um. Ausnahmen von der privaten Beschäftigungsgebereigenschaft umfassen damit zum einen Beschäftigungsgeber, die im vollständigen Eigentum einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, also beispielsweise solche, in denen die juristische Person des öffentlichen Rechts sämtliche Anteile
der Gesellschaft hält. Zum anderen fallen darunter Beschäftigungsgeber, die zwar nicht im vollständigen Eigentum einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, in denen diese jedoch die Mehrheit der Anteile hält oder zu einer Minderheitsbeteiligung Umstände hinzutreten, die die Ausübung eines beherrschenden Einflusses zumindest für eine gewisse Dauer ermöglichen (z.B. die Identität der Leitungspersonen; für die Annahme eines beherrschenden Einflusses bzw. einer Einflussmöglichkeit reicht aber beispielsweise eine bloße Präsenzmehrheit auf einer Hauptversammlung aufgrund geringer Teilnahme des Aktionärspublikums nicht aus).
Gleiches gilt, wenn statt nur einer mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts zusammen das Eigentum haben oder die Kontrolle ausüben können.