§ 5 Vorrang von Sicherheitsinteressen sowie Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten

(1) Eine Meldung oder Offenlegung fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, wenn sie folgende Informationen beinhaltet:

  1. Informationen, die die nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates, insbesondere militärische oder sonstige sicherheitsempfindliche Belange des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung oder Kritische Infrastrukturen im Sinne der BSI-Kritisverordnung, betreffen,
  2. Informationen von Nachrichtendiensten des Bundes oder der Länder oder von Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes oder der Länder, soweit sie Aufgaben im Sinne des § 10 Nummer 3 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes oder im Sinne entsprechender Rechtsvorschriften der Länder wahrnehmen, oder
  3. Informationen, die die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen, die in den Anwendungsbereich des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union fallen, betreffen.

(2) Eine Meldung oder Offenlegung fällt auch nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, wenn ihr entgegenstehen:

  1. eine Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen, es sei denn, es handelt sich um die Meldung eines Verstoßes nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 an eine interne Meldestelle (§ 12), mit den Aufgaben der internen Meldestelle wurde kein Dritter nach § 14 Absatz 1 betraut und die betreffende Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht bezieht sich auf eine Verschlusssache des Bundes nach § 4 Absatz 2 Nummer 4 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes oder auf eine entsprechende Verschlusssache nach den Rechtsvorschriften der Länder,
  2. das richterliche Beratungsgeheimnis,
  3. die Pflichten zur Wahrung der Verschwiegenheit durch Rechtsanwälte, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte und Notare,
  4. die Pflichten zur Wahrung der Verschwiegenheit durch Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Angehörige eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, mit Ausnahme von Tierärzten, soweit es um Verstöße gegen von § 2 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe k erfasste Rechtsvorschriften zum Schutz von gewerblich gehaltenen landwirtschaftlichen Nutztieren geht, oder
  5. die Pflichten zur Wahrung der Verschwiegenheit durch Personen, die aufgrund eines Vertragsverhältnisses einschließlich der gemeinschaftlichen Berufsausübung, einer berufsvorbereitenden Tätigkeit oder einer sonstigen Hilfstätigkeit an der beruflichen Tätigkeit der in den Nummern 2, 3 und 4 genannten Berufsgeheimnisträger mitwirken.

Gesetzesbegründung zu § 5 HinSchG

Zu Absatz 1
Absatz 1 setzt Artikel 3 Absatz 2 der HinSch-RL um.

Zu Absatz 1 Nr. 1
Aus Gründen des Staatswohls ist die Weitergabe schutzbedürftiger Informationen unabhängig von ihrem Geheimhaltungsgrad durch Meldung oder Offenlegung nicht vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes umfasst. Zum Schutz der nationalen Sicherheit und wesentlicher Sicherheitsinteressen ist es gerechtfertigt, entsprechende Informationen unmittelbarer und mittelbarer Art vor einer Weitergabe durch Meldung oder Offenlegung zu schützen. Dazu gehören auch Informationen aus nichtmilitärischen Bereichen der Bundeswehr, die Rückschlüsse auf schutzwürdige sicherheitsrelevante Sachverhalte zulassen. Militärische Angelegenheiten der Bundeswehr erfassen auch Informationen zu Auslandseinsätzen und zur Bündnisverteidigung sowie Informationen, die von und mit verbündeten Streitkräften im Rahmen der tiefen Integration dieser Streitkräfte in die Bundeswehr geteilt werden. Auch Interessen kollektiver Sicherheitssysteme können nationale Sicherheitsinteressen berüh-
ren.
Der Begriff der nationalen Sicherheit erfasst zudem Informationen, deren Weitergabe den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder die verfassungsmäßige Ordnung in Ansehung der zentralen Grundprinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaats (vergleiche § 92 StGB, § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, BVerfSchG) berühren können.

Zu Absatz 1 Nr. 2
Nummer 2 konkretisiert die allgemeine Regelung in Nummer 1 durch eine an § 3 Nummer 8 IFG angelehnte Bereichsausnahme, die unabhängig vom aktuellen Datenbesitz ist, also gleichermaßen für Informationen bei diesen Behörden gilt wie auch für Informationen bei anderen Stellen (etwa der jeweiligen Fachaufsicht), wenn diese Informationen von den in Nummer 2 benannten Behörden stammen. Die Bereichsausnahme schützt generell einen Aufgabenbereich, ohne dass dazu – wie nach Absatz 2 – noch eine nähere Klassifizierung einzelner Informationen nötig wird. Diese Typisierung ist sachgerecht, da die von der Bereichsausnahme erfassten Behörden gerade die Aufgabe haben, die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Der Schutz der nationalen Sicherheit und wesentlicher Sicherheitsinteressen erfasst Informationen, deren Weitergabe den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder, die Funktionsfähigkeit ihrer Einrichtungen oder zentrale Grundprinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaats berühren (vergleiche § 92 StGB, § 4 Absatz 1 BVerfSchG). Speziell im Bereich der Nachrichtendienste ist der Hinweisgeberschutz aufgabenadäquat bereichsspezifisch insbesondere in § 8 des Kontrollgremiumgesetzes (PKGrG) geregelt und die betreffende Sachklärung auch im Rahmen parlamentarischer Kontrolle speziell mit besonderen Ressourcen organisiert (§ 5a PKGrG). Ein besonderes, zugleich hinweisgebende Personen schützendes Kontrollverfahren ist auf dem Gebiet der Datenschutzvorschriften im Übrigen allgemein mit dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit eingerichtet (vergleiche insbesondere die §§ 8 ff. BDSG, § 28 BVerfSchG).

Zu Absatz 1 Nr. 3
Meldungen oder Offenlegungen von Verstößen im Zusammenhang mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die unter Artikel 346 AEUV fallende Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte beinhalten, fallen nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes.

Zu Absatz 2
Die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a, b und c der HinSch-RL.

Zu Absatz 2 Nr. 1
Eine Meldung oder Offenlegung von Informationen, die als Verschlusssachen eingestuft sind, fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Die entsprechenden Geheimhaltungsvorschriften gehen dem Recht der hinweisgebenden Person auf eine Meldung vor.
Die Formulierung zum Schutz von Verschlusssachen greift auf § 3 Nummer 4 IFG zurück.
Für den Bund ist maßgeblich die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz, die die Einstufung von Verschlusssachen regelt. Die auf Grundlage des § 35 Absatz 1 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes erlassene Verschlusssachenanweisung regelt die Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen und etwa die Anforderungen an die Einstufung einer Verschlusssache. Die Weitergabe einer eingestuften Information an eine Meldestelle sowie deren Offenlegung sind damit ausgeschlossen. Dies gilt grundsätzlich auch für den schwächsten Geheimhaltungsgrad VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH. Die tatsächliche Einstufung als Verschlusssache ist maßgebend. Das alleinige Vorliegen der objektiven Voraussetzungen für die Einstufung reicht nicht aus, um den Anwendungsbereich dieses Gesetzes auszuschließen.
Die Vorgaben gelten ebenso für die entsprechenden Regelungen beispielsweise der Länder, der Europäischen Union sowie auch der North Atlantic Treaty Organization (Nato) wenn deutsche Dienststellen zu deren Schutz verpflichtet sind, vergleiche § 35 der Verschlusssachenanweisung des Bundes.
Eine Ausnahme sieht die Vorschrift für als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestufte Informationen vor, wenn es sich um die Meldung von strafbewehrten Verstößen an eine interne Meldestelle handelt und sich die betreffende Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht zudem auf eine als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestufte Verschlusssache des Bundes bezieht. Diese Ausnahme gilt nicht, wenn ein Dritter gemäß § 14 Absatz 1 mit den Aufgaben der internen Meldestelle betraut ist. Die Regelungen des Absatzes 1 bleiben hierdurch unberührt. Für Meldungen nach Nummer 1, 2. Halbsatz, die VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestufte Informationen beinhalten, entfällt das Wahlrecht nach § 7 Absatz 1 sowie die Möglichkeit der Offenlegung nach § 32. Die interne Meldestelle führt das Verfahren nach § 17 und ergreift die Folgemaßnahmen nach § 18, wobei eine Abgabe an eine zuständige Behörde, beispielsweise die zuständige Strafverfolgungsbehörde, sich nach den allgemeinen Gesetzen richtet.

Zu Absatz 2 Nr. 2
Eine Meldung oder Offenlegung von Informationen, die dem aus der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Richterin und des Richters nach Artikel 97 Absatz 1 GG folgenden richterlichen Beratungsgeheimnis unterliegen, fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Das richterliche Beratungsgeheimnis umfasst auch truppendienstrichterliche Beratungen und die kollegiale Entscheidungsfindung der richterlich unabhängigen Mitglieder der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder.

Zu Absatz 2 Nr. 3
Außerdem wird die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwälten, Patentanwälten, Strafverteidigern, Kammerrechtsbeiständen und Notaren und ihren Mandantinnen und Mandanten gewahrt. Vertreterinnen und Vertreter dieser Berufsgruppen dürfen keine Informationen preisgeben, die der jeweiligen Verschwiegenheitspflicht unterliegen.
Sie unterliegen auch im Anwendungsbereich dieses Gesetzes der beruflichen Verschwiegenheit und können somit auch für die Meldung oder Offenlegung von Rechtsverstößen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, sofern sie ihre Geheimhaltungspflichten dadurch verletzen. Der Begriff der Rechtsanwälte umfasst auch Syndikusrechtsanwälte (§§ 46a bis 46c der Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO) und ausländische Rechtsanwälte (insbesondere solche nach den §§ 206, 207 BRAO und dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland).
Kammerrechtsbeistände unterliegen nach § 209 Absatz 1 Satz 3 BRAO in Verbindung mit § 43a Absatz 2 BRAO derselben Verschwiegenheitspflicht wie Rechtsanwälte und sind ebenso Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Sie sind im Wesentlichen wie ein Anwalt tätig und daher hier gleich zu behandeln.
Neben Rechtsanwälten und Kammerrechtsbeiständen sind vor allem unter Berücksichtigung der englischen Sprachfassung der HinSch-RL Patentanwälte, Strafverteidiger und Notare mit einzubeziehen. In der englischen Sprachfassung heißt es in den Erwägungsgründen 26 und 27 und Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe b der HinSch-RL „communications between lawyers and their clients“ und „legal professional privilege“. Der Begriff „lawyer“ beschreibt allgemein das Recht praktizierende Berufsträgerinnen und -träger. Mit dem Begriff des „legal professional privilege“ wird die Vertraulichkeitspflicht von Personen, die einen juristischen Beruf ausüben, umschrieben. Mit diesem Begriff vergleichbar sind die Be-
griffe in der italienischen („segreto professionale forense“), der maltesischen („privileġġ professjonali legal“), der polnischen („prawnicza tajemnica zawodowa“) und der finnischen Sprachfassung („oikeudellinen ammattisalassapitovelvollisuus“). Vom Begriff des Patentanwalts umfasst sind auch ausländische Patentanwälte, insbesondere solche nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland. Der Begriff des Verteidigers in einem gesetzlich geordneten Verfahren umfasst entsprechend § 203 Absatz 1 Nummer 3 StGB neben Verteidigern im Strafverfahren (§§ 138, 139, 142 StPO) auch Verteidiger im Bußgeld-, Disziplinar-, Berufs- und Ehrengerichtsverfahren.
Vor diesem Hintergrund sind die genannten Geheimnisträger von der Bereichsausnahme des Artikels 3 Absatz 3 Buchstabe b der HinSch-RL umfasst und hier mit aufzunehmen. Bei den vorgenannten Berufsgruppen bleiben also insbesondere die Strafandrohungen des § 203 Absatz 1 und 4 StGB bestehen.

Zu Absatz 2 Nr. 4
Nach Nummer 4 wird die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Erbringern von Gesundheitsleistungen und Patientinnen beziehungsweise Patienten einschließlich des Inhalts von Patientenakten gewahrt.
Für die Berufsgruppen, die unter die ärztliche Verschwiegenheitspflicht fallen, führt Erwägungsgrund 26 der HinSch-RL aus, dass nicht nur Ärzte, sondern auch beispielsweise Therapeuten hierunter fallen. Erfasst werden alle Berufsgruppen, die Gesundheitsleistungen erbringen. Hierzu zählen gleichlaufend mit § 203 Absatz 1 Nummer 1 StGB Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Angehörige anderer Heilberufe, die für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordern. Hierzu zählen beispielsweise Krankenschwestern oder -pfleger, Hebammen, Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister, nicht aber Heilpraktiker oder Zahnlabore und deren Inhaber. Soweit Meldungen etwa über Missstände in der Pflege nicht Teil der Patientenakten oder der Kommunikation zwischen dem Erbringer von Gesundheitsleistungen und Patienten sind, bleibt der Anwendungsbereich dieses Gesetzes eröffnet.
Auch bei den hier genannten Berufsgruppen bleiben die Strafandrohungen des § 203 Absatz 1 und 4 StGB bestehen.

Zu Absatz 2 Nr. 5
Die Geheimhaltungspflichten für Berufsträger nach den Nummern 3 und 4 gelten für die bei Rechtsanwälten, Patentanwälten, Strafverteidigern, Kammerrechtsbeiständen, Notaren und den Erbringern von Gesundheitsleistungen berufsmäßig tätigen Gehilfen und zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen. Hiervon umfasst werden auch von Rechtsanwälten beauftragte Dienstleister (vergleiche § 43e BRAO) und Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften (vergleiche § 59m BRAO).
Der Berufsgeheimnisträger entscheidet über die Wahrung der Verschwiegenheit, es sei denn, dass diese Entscheidung in absehbarer Zeit nicht herbeigeführt werden kann.